28.02.2023 | Mirco Gröger
Alles, was Sie über Stress wissen müssen: Von Stressoren bis zur erfolgreichen Stressbewältigung
- Angriff oder Flucht sind keine zeitgemäßen Gefahrenreaktionen mehr.
- Stress ist für Ausnahmesituationen gedacht und darf nicht zum Dauerzustand werden.
- Chronischer Stress führt zur Erschöpfung ohne Erholungsmöglichkeit.
- Problem bzw. lösungsorientierte Stressbewältigung soll die stressauslösende Situation verändern.
- Emotionsorientierte bzw. reaktionszentrierte Stressbewältigung soll die körperlichen und emotionalen Auswirkungen reduzieren.
Was ist Stress?
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird unter Stress eine subjektiv als unangenehm bewertete Situation verstanden, die sich negativ auf das Befinden auswirkt ("Ich habe Stress"). Die Auswirkung dieses stressigen Ereignisses auf den Organismus, wie zum Beispiel eine erhöhte physiologische Erregung, wird ebenfalls als Stress bezeichnet ("Ich bin gestresst"). Es ist daher wichtig, zwischen den stressauslösenden Bedingungen, den Stressoren, und der Reaktion auf diese Stressoren, der Stressreaktion, zu unterscheiden. Diese Unterscheidung ist essentiell, weil sie uns dabei hilft, die spezifischen Ursachen von Stress zu identifizieren und gezielte Strategien zur Stressbewältigung zu entwickeln, indem wir entweder die Stressoren verändern oder unsere Reaktion darauf verbessern.
Was ist ein Stressor?
Als Stressor wird eine Belastung bezeichnet, die auf den Organismus einwirkt. Dies kann ein interner Stressor sein, wie zum Beispiel der Gedanke an eine bevorstehende Prüfung, oder ein externer Stressor, wie Anforderungen oder physische Reize – beispielsweise Lautstärke, Hitze oder Kälte.
Was ist eine Stressreaktion?
Eine Stressreaktion ist die mentale, emotionale, physiologische und immunologische Reaktion eines Organismus auf einen Stressor. Eine solche Stressreaktion ist eine Anpassungsreaktion, bei der sich ein Organismus durch die Veränderungen diverser Parameter wie Herzfrequenz, Blutdruck, Muskelspannung optimal darauf vorbereitet, einer drohenden Gefahr durch eine motorische Aktion (Kampf oder Flucht) zu bewältigen
Wovon hängt es ab, ob eine Stressreaktion ausgelöst wird?
Ob ein bestimmter Stressor eine Stressreaktion auslöst, hängt davon ab, wie eine Person den Stressor bewertet (als irrelevant, Herausforderung oder Bedrohung) und wie sie ihre eigenen Bewältigungsfähigkeiten einschätzt (ausreichend oder nicht ausreichend). Dafür spielen verschiedene Faktoren eine Rolle.
Wenn eine Person bereits positive Erfahrungen bei der Bewältigung ähnlicher Situationen gemacht hat, wird sie ihre Bewältigungsfähigkeiten positiver einschätzen und die Stressreaktion fällt geringer aus. Zudem reagieren Menschen unterschiedlich auf Belastungen, da ihr neuroendokrines Stresssystem unterschiedlich sensibel ist. Menschen mit einem sehr sensiblen Stresssystem zeigen selbst bei geringen Belastungen eine stärkere Stressreaktion. Durch positive Bewältigungserfahrungen, den Einsatz von Stressbewältigungstechniken und Entspannungsverfahren kann das Stresssystem jedoch lernen, weniger stark auf Belastungen zu reagieren.
Welche Funktion hat Stress für den Organismus?
Evolutionär bedingt hat Stress die Funktion, den Organismus optimal auf Gefahrensituationen vorzubereiten. Dabei werden Energiereserven mobilisiert, um auf erkannte Gefahren mit Angriff oder Flucht reagieren zu können.
Stress entsteht jedoch erst, wenn eine Person das Gefühl hat, dass ihre eigenen Ressourcen nicht ausreichen könnten, um eine Situation zu bewältigen. Daher reagieren Menschen unterschiedlich stark mit Stress in denselben Situationen.
Ist eine Stressreaktion in der heutigen Welt noch sinnvoll?
In früheren Zeiten waren die Reaktionsmuster Angriff oder Flucht angemessen. Heutzutage sind sie jedoch weniger geeignet, um mit den Herausforderungen des modernen Lebens umzugehen. Ohne Angriff oder Flucht wird die bereitgestellte Energie jedoch nicht verbraucht, sondern staut sich an, was zu gesundheitlichen Problemen führen kann. Aber es gibt natürlich auch heute noch Situation, in denen eine schnelle motorische Reaktion überlebenswichtig ist.
Was passiert bei akutem Stress im Körper?
Bei einer akuten Stressreaktion werden die körperlichen Funktionen angeregt, die für eine körperliche Bewältigungsreaktion benötigt werden. Es kommt zu einer Erhöhung des Blutdrucks, und der Blutfluss wird so umverteilt, dass mehr Blut zu den Muskeln fließt und weniger zum Darm, den Nieren und der Haut.
Zudem findet eine Mobilisierung metabolischer Prozesse statt, um die Energieproduktion zu erhöhen. Glukose, Aminosäuren und Fettsäuren werden freigesetzt, was zu einer erhöhten Konzentration dieser Stoffe im Blut führt. Die Speicherung dieser Stoffe wird unterbrochen. Eine erhöhte Synthese roter Blutkörperchen und oxidativer Enzyme erleichtert die Bereitstellung von Energie. Andere Prozesse, die Energie benötigen, aber nicht der Mobilisierung metabolischer Prozesse dienen, werden unterdrückt. Dazu gehört die Reduzierung der Immunantwort und der regenerativen Körperfunktionen durch eine Abnahme weißer Blutzellen, der Wundheilung, des Knochenwachstums sowie der Reparatur und des Austauschs von Zellen.
Was genau versteht man unter chronischer Stress?
Kommt es häufig zu Situationen, die zu einer Stressreaktion führen, ohne dass die Energiereserven verbraucht werden oder der Organismus durch Erholung und Entspannung wieder in einen ausgeglichenen Zustand zurückfindet, kann Stress chronisch werden.
Der Organismus befindet sich dann ständig in einem Zustand erhöhter Alarmbereitschaft, der evolutionär betrachtet nur für Ausnahmesituationen vorgesehen war. Je länger die Belastungen andauern, desto mehr verliert der Organismus seine Fähigkeit zur Selbstregulation und Anpassung an spezifische Situationen.
Was passiert bei chronischem Stress im Körper?
Die Erregung eines Organismus durch einen Stressor geht immer mit dem biochemischen Zustand des Katabolismus einher, bei dem Stoffwechselprodukte abgebaut werden, um Energie zu gewinnen.
Mit der Entspannung und Regener ation hingegen geht der biochemische Zustand des Anabolismus einher, bei dem Energieressourcen wieder aufgebaut werden und die Reparatur und der Austausch von Körperzellen wieder stattfinden.
Im Falle einer kurzfristigen Erregung ermöglichen diese Anpassungsprozesse dem Organismus, sich optimal auf eine akute Belastung einzustellen. In einer Gefahrensituation werden Energiereserven freigesetzt und wenn die Gefahr vorüber ist, werden die Speicher wieder aufgefüllt und Prozesse, wie die Reparatur und der Austausch von beschädigten Zellen wird wieder aufgenommen.
Befindet sich ein Organismus jedoch über einen längeren Zeitraum in einem Zustand erhöhter neurophysiologischer Erregung (chronischer Stress), werden die Energiereserven des Organismus durch die erhöhte Energiebereitstellung geplündert und es werden nur unzureichend neue Ressourcen aufgebaut, was zu einem Zustand der Erschöpfung führen kann.
Warum fällt es schwer, sich nach anhaltendem Stress zu erholen?
Ein gesundes Stresssystem reagiert schnell und angemessen auf Gefahren, wobei die Stärke der Stressreaktion der Größe der Gefahr entspricht, und die Reaktion beendet wird, wenn keine Gefahr mehr besteht.
Auf neurophysiologischer Ebene zeigt sich dies darin, dass der Hypothalamus, als wichtigstes Steuerzentrum des vegetativen Nervensystems, das Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH) freisetzt. Dieses Hormon stimuliert wiederum die Hypophyse (Hirnanhangdrüse) zur Ausschüttung des adrenocorticotropen Hormons (ACTH). ACTH wiederum regt die Nebennierenrinde an, das Stresshormon Cortisol auszuschütten, welches eine Stressreaktion im Körper auslöst.
Wie wird eine Stressreaktion beendet?
Sobald ausreichend Cortisol im Blut vorhanden ist, erkennt der Organismus dies über spezifische Rezeptoren, die die Cortisol-Konzentration messen, und sendet das Signal, die weitere Ausschüttung von Cortisol zu stoppen. Dieser Mechanismus wird oft als "Stressbremse" bezeichnet.
Warum ist Dauerstress gefährlich?
Wenn das neurobiologische Stresssystem aufgrund anhaltenden Stresses ständig aktiviert ist, verliert es die Fähigkeit, sich spontan an die Anforderungen der Situation anzupassen und bleibt dauerhaft aktiviert.
Auf neurophysiologischer Ebene äußert sich dies darin, dass entweder die Cortisol-Rezeptoren die Cortisol-Konzentration nicht mehr richtig registrieren können oder die Nebennierenrinde Signale zur Beendigung der Cortisol-Ausschüttung nicht richtig empfängt. Dies kann darauf zurückzuführen sein, dass bestimmte Rezeptorzellen durch den anhaltenden Stress geschädigt wurden.
Während der Organismus in einem dauerhaft aktivierten Zustand ist, werden Energiereserven freigesetzt, ohne dass neue Reserven aufgebaut werden. Dies führt zu einer zunehmenden Erschöpfung. In diesem kritischen Zustand kann sich der Organismus selbst in Ruhephasen nicht mehr erholen, weshalb dieser Zustand als Erholungsunfähigkeit bezeichnet wird. Eine solche langfristige Verschiebung des internen Milieus und die damit verbundenen Veränderungen der Körperfunktionen können zu einer Vielzahl von Erkrankungen führen oder ihre Entstehung begünstigen. Das Phänomen der Erholungsunfähigkeit ist einer der Hauptfaktoren für die Entwicklung von Burnout oder Erschöpfungsdepression.
Was sind die Ziele und Ansätze der Stressbewältigung?
Stressbewältigung umfasst alle Maßnahmen, die eine Person ergreift, um mit internen Belastungen (wie belastenden Gedanken und Gefühlen) und externen Belastungen (wie Zeitdruck und Arbeitsanforderungen) umzugehen. Das Ziel von Stressbewältigungstechniken besteht darin, entweder die stressauslösende Situation zu verändern (problemorientierte Stressbewältigung) oder die Wahrnehmung und Bewertung der stressauslösenden Situation zu verändern, um die emotionalen Auswirkungen von Stress zu reduzieren.
Was ist problemorientierte Stressbewältigung?
Die problemorientierte Stressbewältigung zielt darauf ab, die stressauslösende Situation zu analysieren und zu verändern. Mögliche Ansatzpunkte sind:
Problemanalyse: Teilen Sie das Problem in kleinere Teile auf und lösen Sie diese einzeln. Falls nicht alle Aspekte des Problems lösbar sind, verwenden Sie eine emotionsorientierte Bewältigungsstrategie, um einen guten Umgang mit der Situation zu finden.
Zeitmanagement: Analysieren Sie Ihr Zeitmanagement und identifizieren Sie die Tätigkeiten, die Ihnen am meisten Stress bereiten. Überprüfen Sie diese Tätigkeiten hinsichtlich ihrer Wichtigkeit und Dringlichkeit und setzen Sie Prioritäten. Lehnen Sie gegebenenfalls Aufgaben ab, wenn deren Erledigung mit einem gesundheitsgerechten Maß an Anstrengung nicht möglich ist.
Kommunikation: Missverständnisse oder unklar geäußerte Erwartungen können häufig zu Konflikten und Stress führen. Überprüfen Sie daher Ihre Kommunikation auf Klarheit und Effizienz. Fordern Sie klare Kommunikation ein, wenn Sie Erwartungen, Anforderungen oder Ihre Rolle nicht richtig verstehen.
Konfliktlösung: Versuchen Sie ungelöste Konflikte durch konstruktive Gespräche zu lösen. Reflektieren Sie gescheiterte Lösungsversuche und überprüfen Sie, ob Ihr Gegenüber Ihre Beweggründe und Bedürfnisse verstanden hat. Suchen Sie gegebenenfalls nach Möglichkeiten, die Kommunikation zu verbessern.
Soziale Unterstützung: Investieren Sie in den Ausbau und die Pflege Ihres sozialen Netzwerks und zögern Sie nicht, um notwendige Unterstützung zu bitten. Gegenseitige Unterstützung kann helfen, Stress zu bewältigen und sich wohler zu fühlen.
Was ist emotionsorientierte Stressbewältigung?
Die emotionsorientierte Stressbewältigung zielt darauf ab, die körperlichen und emotionalen Auswirkungen von Stress zu reduzieren. Mögliche Ansätze sind:
Emotionsregulation: Emotionen haben die Funktion, auf etwas hinzuweisen. Manchmal kommt es jedoch zu einem Fehlalarm, wenn die emotionale Reaktion nicht angemessen oder hilfreich ist. Überprüfen Sie Ihre emotionale Reaktion und erkennen Sie, ob sie auf einer realistischen Grundlage beruht. Wenn die Emotion keinen realistischen Bezug hat, handelt es sich um einen Fehlalarm. Machen Sie sich dessen bewusst.
Entspannungstechniken: Entspannungsverfahren wie Yoga, Meditation oder progressive Muskelentspannung können helfen, Stress abzubauen und das Wohlbefinden zu steigern.
Ablenkung: In Situationen, auf die wir keinen Einfluss haben und die von selbst vorübergehen, kann Ablenkung eine geeignete Strategie sein, um Stress abzubauen. Achten Sie jedoch darauf, dass Sie gesundheitsfördernde Ablenkungen wie Sport nutzen, anstatt auf gesundheitsschädliche Verhaltensweisen wie Alkoholkonsum zurückzugreifen.
Bagatellisierung: Versuchen Sie, das Positive im Negativen zu finden. Wenn Sie eine Situation nicht ändern können, relativieren Sie die Belastung. Diese Strategie sollte jedoch mit Vorsicht angewendet werden und nicht zu toxischer Positivität führen. Es geht nicht darum, alles schönzureden, sondern akut eine Stressreaktion zu beenden.